100 Jahre Frauenwahlrecht
Frauen in die Politik von Utta WeißingKommunalwahlen im Jubiläumsjahr - „Da geht noch was!“
2018/19 jähren sich zentrale Meilensteine in der Geschichte von Demokratie und Gleichberechtigung: 100 Jahre Frauenwahlrecht, 70 Jahre Grundgesetz mit Gleichberechtigungsartikel und 25 Jahre aktiver Gleichstellungsauftrag des Staates im Grundgesetz.
Vor 100 Jahren wurde für Deutschland das Wahlrecht auch für Frauen beschlossen. Bis dahin galt im Norddeutschen Bund, dem auch das Gebiet des heutigen Schleswig-Holstein angehörte, ein Wahlrecht, bei dem Männer ab 25 Jahren einen Direktkandidaten für den Reichstag wählen durften. In anderen deutschen Gliedstaaten waren Wahlrechte in Kraft, die auch für Männer alles andere als gerecht waren. Beim Wahlrecht für Frauen ging es also nicht nur um das Geschlecht. Es ging hauptsächlich um die Frage, wer von dem „niederen Volk“ wie an der Macht beteiligt werden soll.
Das Wahlrecht für Frauen wurde 1906 zuerst von Finnland eingeführt, 1913 folgte Norwegen , 1915 Dänemark und Island, und in der Zeit von 1917 bis 1921 zogen fast alle nordeuropäischen Länder inclusive Großbritannien und den USA nach. Das südlichere Europa folgte ab 1931 (Spanien, 1944-1946 u.a. Frankreich, Balkan-Staaten, und Italien.) Die Schweiz (1971) und Lichtenstein (1984) waren die letzten europäischen Staaten, die das Wahlrecht auch für Frauen einführten. Mit dem politischen Wahlrecht auch für Frauen veränderte sich in der Verteilung der Mandate für Frauen erst mal recht wenig. Aber das Wahlrecht war deshalb für die Frauen jeweils ein wichtiger Sieg, weil für sie damit die Stärkung ihrer Rechte in allen Bereichen des Lebens verbunden war.
Im ersten Reichstag 1919 waren 386 Männer (82,3 %) und 37 Frauen (8,7 %) vertreten. Bis 1933 sank der Anteil weiter auf nur noch 21 Frauen (3,8%) gegenüber 537 Männern (die Zahl der Sitze hatte sich insgesamt erheblich erhöht). Den wenigen Frauen gebührt großer Respekt dafür, dass sie sich politisch engagierten, denn sie hatten es sehr schwer, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.
Dem ersten Bundestag nach dem 2. Weltkrieg gehörten 38 Frauen und 382 Männer an (9%). Der Anteil stieg erst Mitte der 1980er Jahre auf etwa 18 %. Seit 1998 hielt er sich relativ konstant zwischen 31% und 36,5 %, sank jedoch nach der Wahl im September 2017 wieder auf den Stand von 1998, auf 31%!
In den Kommunalparlamenten lag der Frauenanteil über all die Jahre meist nur bei 20 – 25 %. Auch in den Leitungsstellen der „Backoffices“, den Verwaltungen von Gemeinden- bis Landes- und Bundesebenen, saßen bis weit in die 1990er Jahre nahezu ausschließlich Männer. Frauen haben hier seit 1990 zwar aufgeholt, aber „Politik“ wurde und wird auch 100 Jahre nach Einführung des Wahlrechtes für Frauen vor allem von Männern „gemacht“ und umgesetzt. Diese Entwicklung zeigt, wie stark trotz des gesetzlichen Rechtes noch Haltungen und Vorurteile wirken.
Das hatte und hat inhaltliche Folgen: Themen, die für Frauen bedeutsamer sind (Kinderbetreuung, Schutz vor Gewalt und Sexismus, Zugang zu Arbeit, gleiche und faire Bezahlung, Rentenlücke, Armut von Alleinerziehenden…) kamen politisch nur schwer voran, wurden verzögert oder nicht in dem Maße gestaltet und finanziell ausgestattet, wie es wünschenswert wäre. Wer nicht mit am Tisch sitzt…kann nur hoffen, dass die Interessen dort mitvertreten werden.
Im Mai 2017 waren in Schleswig-Holstein Landtagswahlen, im September 2017 Bundestagswahlen und nun im Mai 2018 stehen bei uns die Kommunalwahlen an. In den nun vorliegenden Wahllisten für die Gemeindewahlen und für die Kreistage zeichnet sich bereits ab, dass wieder weniger Frauen vertreten sein werden als in der letzten Wahlperiode. Neben der geringen Beteiligung von Frauen wirken bei der Aufstellung der Listen noch weitere „Schräglagen“ bei der allgemeinen Verteilung der politischen Macht, z.B. nach Alter, nach Einkommen und Berufsgruppen. Aber auch das schlechte Image von politischer Arbeit hat das Interesse an der Mitwirkung allgemein zurückgehen lassen. Der Rückgang sollte ein Alarmsignal sein! Einer Demokratie steht es gut an, nicht darin nachzulassen, die Beteiligung aller immer wieder aktiv zu fördern.
Vor ca. 70 Jahren wurde das Grundgesetz verabschiedet (mit Artikel 3: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“), vor 25 Jahren wurde der Artikel 3 um den Satz erweitert: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Dass nach 100 Jahren Wahlrecht für Frauen bei der Verteilung der Mandate die Durchsetzung der Gleichberechtigung noch nicht gelungen ist, ist offensichtlich.